Dieses Urteil des Europäischen Gerichtshof (EuGH) macht viele private Kreditverträge nachträglich anfechtbar, zum Beispiel um dadurch Hauskredit-Zinsen zu senken oder durch Widerruf der Kfz-Finanzierung auf diesem Weg endlich eine Diesel-Entschädigung zu erstreiten.
Der EuGH hat mit einem Urteil vom 26.03.2020 einen Großteil der deutschen Verbraucherkredite ins Wanken gebracht. Die Luxemburger Richter widersprechen damit der verbraucherunfreundlichen Rechtsauffassung des Bundesgerichtshofs (BGH) und treffen damit insbesondere die Bankenbranche in Zeiten der Ausbreitung des Corona-Virus empfindlich.
Reichweite und Grundlage der Entscheidung
Nach dieser Entscheidung ist ein Großteil der ab dem 11.06.2010 geschlossenen Verbraucherkreditverträge – also insb. Immobilienkredite, Privatkredite oder Autokredite – widerrufbar. Die im Laufe der letzten Jahre immer bankenfreundlicher werdende Rechtsprechung des BGH wird damit wohl der Vergangenheit angehören.
Die Entscheidung macht Mut und zwar all den Verbrauchern, die bislang einen Widerruf ihres Kreditvertrags gescheut haben. Sie wird nämlich die bisherige Praxis der obergerichtlichen Rechtsprechung aller Erwartung nach auf den Kopf stellen:
Der EuGH hat eine Formulierung als unzureichend angesehen, die so oder ähnlich nahezu ausnahmslos in allen Verbraucherdarlehensverträgen, die ab dem 11.06.2010 geschlossen wurden, zu finden sind. Zwar hatte der EuGH auf Vorlage des Landgerichts Saarbrücken über einen Immobiliendarlehensvertrag – also einen Kreditvertrag über die Finanzierung einer Immobilie – zu entscheiden. Der beanstandete Passus innerhalb der Widerrufsinformationen findet sich aber nahezu identisch in den aller meisten allgemeinen Kredit- und Darlehensverträgen, die Banken mit Verbrauchern abgeschlossen haben.
Brisant ist diese Entscheidung vor allem für zwei Arten von privaten Darlehen:
Die erste große Gruppe
der Betroffenen sind all diejenigen, die ab dem 11.06.2010 mit einem Kredit- oder Leasingvertrag ein Auto finanziert haben. Der wirksame Widerruf einer Finanzierung führt in der Regel dazu, dass das Fahrzeug zurückgegeben werden kann. Insbesondere für Schummel-Diesel-Besitzer, die häufig unter einem enormen Wertverfall ihrer Fahrzeuge leiden, ebnet die Entscheidung den Weg zu einer Diesel-Entschädigung, unabhängig von Volkswagens geizigen Gnaden.
Bei Immobilienfinanzierungen
– der zweiten großen Gruppe – ist es etwas komplizierter. Hier sollten Immobilienbesitzer, die zwischen dem 11.06.2010 und dem 20.03.2016 eine Hypothekenfinanzierung aufgenommen haben, die Widerrufsbelehrung überprüfen lassen, um vorzeitig aus einem teuren Baukredit aussteigen zu können. Nach dem 20.03.2016 wurde in den meisten Kreditverträgen über Immobilien eine andere Formulierung verwendet. Eine Vorfälligkeitsentschädigung wird dabei nach der Entscheidung des EuGH grundsätzlich nicht fällig! Es eröffnet sich so der Weg zur Senkung der Hauskredit-Zinsen per Umfinanzierung.
Was jetzt zu tun ist
In einem ersten Schritt sollten betroffene Verbraucher demnach prüfen lassen, ob ihre Verträge von dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs betroffen sind und welche Möglichkeiten konkret bestehen. Nach der Erfahrung wird zwar nicht damit zu rechnen sein, dass die Kreditinstitute den Widerruf der Kunden sofort anerkennen, insbesondere dann, wenn die Kunden selbst den Widerruf ohne anwaltliche Unterstützung erklären. Nach der Entscheidung des EuGH sind die Chancen von Verbrauchern jedoch nunmehr deutlich gestiegen und so gut, wie selten zuvor.
Für Verbraucher, die bislang noch gezögert haben, von ihrem Widerrufsrecht Gebrauch zu machen, ist jetzt der Moment gekommen, um zu handeln!
Der sog. „Widerrufsjoker“ – über den in Fachkreisen viel diskutiert wurde – ist mit dem Urteil des EuGH wieder und jetzt stark stichhaltig zum Leben erwacht:
- Hauskredit-Zinsen senken: Ehemals teure Hauskredite, die noch vor einiger Zeit z.B. um die 4% Zinsen kosteten sind aktuell schon für unter 1 % zu haben. Über mehrere Jahre gerechnet beträgt der Unterschied häufig mehrere tausend Euro.
- Diesel-Entschädigung erhalten: Kaum mehr an den Mann zu bringende Diesel-Pkw können mit lukrativer Berechnung des Werts der Nutzung abgestoßen werden.